by PR-Gateway | 25/11/2025 13:21
Nach einer Tätowierung muss damit gerechnet werden, dass sich die tätowierte Hautstelle entzündet. Diese Komplikation wird bei Einwilligung in die Tätowierung billigend in Kauf genommen. Führt diese Komplikation zur Arbeitsunfähigkeit, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, da den Arbeitnehmer ein Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit trifft.
(LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.05.2025 – 5 Sa 284 a/24 – Revision nicht zugelassen)
Die Arbeitnehmerin ließ sich am Unterarm tätowieren. Infolge einer bakteriellen Infektion der tätowierten Stelle war sie in der Folgezeit arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Arbeitgeberin weigerte sich, Entgeltfortzahlung zu leisten, weil sie davon ausging, dass die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet habe.
U.a. machte die Arbeitnehmerin im Rechtsstreit geltend, von einem Verschulden könne keine Rede sein, weil es nach Tätowierungen lediglich in 1% bis 5% der Fälle zu Komplikationen in Form von Entzündungsreaktionen der Haut komme.
Das LAG hat die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG hat der Arbeitnehmer, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Die Rechtsprechung des BAG definiert den Begriff des Verschuldens in § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG als “Verschulden gegen sich selbst”. Da-von ist bei einem Verhalten auszugehen, das in erheblichem Maße gegen das Eigeninteresse des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden, verstößt.
Ausgangspunkt des LAG ist ein Urteil des BAG zu einem Entgeltfortzahlungsanspruch einer Arbeitnehmerin, die nach einer In-Vitro-Fertilisation arbeitsunfähig erkrankte. Für einen solchen Fall hat das BAG ein Verschulden der Arbeitnehmerin bejaht, wenn die Erkrankung vorhersehbar ist und gewollt herbeigeführt wird. Anders ist es jedoch, wenn eine Erkrankung auftritt, mit deren Eintritt nicht gerechnet werden muss (BAG 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 -).
Dieser Maßstab muss nach Auffassung des LAG auch bei Tätowierungen gelten. Die Klägerin habe mit Komplikationen rechnen müssen. Denn sie habe vorgetra-gen, dass es in bis zu 5% der Fälle nach Tätowierungen zu Komplikationen in Form von Entzündungsreaktionen der Haut komme. Das sei keine völlig fernliegende Komplikation. Bei Medikamenten werde eine Nebenwirkung bereits als “häufig” angegeben, wenn diese in mehr als 1% aber weniger als 10% der Fälle auftrete.
Die Klägerin hatte sich auch darauf berufen, in ihrem Fall ein Verschulden anzunehmen, stehe nicht in Einklang mit der Rechtsprechung zur Entgeltfortzahlung bei Teilnahme an gefährlichen Sportarten mit Unfallfolgen. “Gefährliche Sportarten” definiert das BAG als Sportarten, bei denen das Verletzungsrisiko so groß ist, dass auch ein gut ausgebildeter Sportler bei Beachtung aller Regeln dieses Risiko nicht vermeiden kann.
Wer sich solchen Gefahren aussetzt, handelt, so das BAG, leichtsinnig und unver-nünftig und damit schuldhaft im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Das Risiko, das die Klägerin mit der Tätowierung eingegangen sei, ist nach Auffassung des LAG damit vergleichbar.
Schließlich stützt das LAG seine Entscheidung auch auf § 52 Abs. 2 SGB V. Nach dieser Bestimmung kann die Krankenkasse Krankengeld ganz oder teilweise versagen bzw. zurückfordern, wenn sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen haben.
Fazit:
Die Entscheidung wirft grundsätzliche Rechtsfragen auf, die nicht geklärt sind und auch durch das vorliegende Urteil nicht überzeugend beantwortet werden. Nachvollziehbar ist es, dass das LAG die Maßstäbe der Entscheidung des BAG zur In-Vitro-Fertilisation auf den Streitfall anwendet, weil in beiden Fällen ein Eingriff in die körperliche Integrität mit Einwilligung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers erfolgt. Jedoch hat das BAG in seiner Entscheidung zur In-Vitro-Fertilisation offengelassen, wie hoch das Risiko einer Erkrankung sein muss, um annehmen zu können, dass mit ihrem Eintritt gerechnet werden muss. Was gilt z.B., wenn die Wahrscheinlichkeit äußerst gering ist? Der Hinweis auf die Häufigkeit von Nebenwirkungen von Medikamenten führt nicht weiter, weil die hierbei angewendeten Maßstäbe nicht auf § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG beruhen.
Nicht überzeugend ist auch die Parallele zu Verletzungen im Rahmen gefährlicher Sportarten, denn als gefährlich gilt eine Sportart wegen ihres hohen Verletzungsrisikos, während das Komplikationsrisiko bei Tätowierungen gering ist. Zuzustimmen ist dem LAG allerdings darin, dass die Regelung in § 52 Abs. 2 SGB V für die Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG von Bedeutung ist. Man könnte argumentieren, dass “erst recht” der Arbeitgeber nicht zur Zahlung verpflichtet ist, wenn sich der Arbeitnehmer eine Krankheit durch eine Tätowierung zugezogen hat. Wer dies tut, muss sich jedoch damit auseinandersetzen, dass es im Ermessen der Krankenkasse liegt, ob Krankengeld nicht gezahlt wird, dass es auch nur teilweise versagt werden kann, und was gilt, wenn der Arbeitnehmer nicht krankenversicherungspflichtig ist. Zu diesen Fragen wird im Urteil des LAG nicht Stellung genommen.
Ingrid Heinlein, Vors. Richterin a. LAG a.D., Rechtsanwältin
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